Schalom, Halli Galli

Zu Besuch bei Haim Shafir und Ariel Laden

von Harald Schrapers

Halli Galli ist mit zirka 2,5 Millionen verkaufter Exemplare ein bei uns sehr bekanntes Kinderspiel. Was viele aber nicht wissen: Es ist ein israelisches Spiel und nicht das einzige auf dem deutschen Markt. Haim Shafir ist der Autor von Halli Galli. Sein Studio liegt in einem angesagten Wohnviertel der pulsierenden Metropole Tel Aviv. Zum Mittelmeerstrand sind es nur wenige Minuten.

Shafir ist 59 Jahre alt und gelernter Maschinenbauingenieur. Nach seinem Studium begann er mit der Fertigung von Holzspielzeug – eine erste Berührung mit dem, was fortan sein Berufsleben prägen würde. „Ich wollte etwas erfinden“, sagt Shafir über seine Motivation, Spieleautor zu werden. Vor 30 Jahren gründete er den Verlag Shafir Games und entwickelt seitdem Spiele. Dabei ist Israel wahrlich kein guter Markt, um Spiele zu verkaufen.

Eine durchschnittliche israelische Familie kennt gerade mal zwei Titel: Rummikub von Ephraim Hertzano und Haim Shafirs Mau-Mau-Variante Taki. Dieses Spiel sei eine Art „israelisches Nationalspiel“ geworden, betont Shafir stolz.

In seiner Anfangszeit als Autor habe es in seinem Land eigentlich ausschließlich Lernspiele gegeben. Das sei „typisch jüdisch“, charakterisiert Shafir die Bildungsbeflissenheit seiner Landsleute. Spiele müssten einen externen Wert haben. Mit seinem Anspruch, in diesem Metier Unterhaltung zu schaffen, sei er allein gewesen.

Auch er selbst habe mit einem Lernspiel begonnen, räumt Shafir allerdings ein. „Halli Galli hat eine lange Entwicklungszeit hinter sich und hieß zuerst Tutti Frutti. Wie zähle ich von 1 bis 5“, war die ursprüngliche Fragestellung gewesen, das Erkennen von Farben und Mengen das Ziel. „Das war nicht schnell, man brauchte nicht zu reagieren, das war kein Spaß.“

Die erste Reaktions-Variante, noch ohne Glocke, kam dann 1991 bei einem dänischen Verlag heraus. Piccolo war ihr Name, eine in Skandinavien gebräuchliche Bezeichnung für einen Hotelboy. Statt der Früchte waren Koffer auf den Karten zu finden. In Israel heißt Halli Galli noch heute Piccolo, allerdings mit der bekannten Obst-Grafik und der inzwischen so berühmten Glocke.

Gleich nach der Firma Kod Kod rangierend, die mit dem Verlegen von Hasbro-Titeln den israelischen Spielemarkt dominiert, ist Shafir Games ein bedeutender Nischenverlag. Er beschränkt sich darauf, kompakte Kartenspiele herauszubringen, was ihn in eine komfortable Vertriebssituation versetzt. Denn für eine Kollektion von Spielen dieser Größe findet sich in vielen Geschäften Platz, weshalb Shafir Games auch außerhalb des Spielzeughandels oft zu finden sind.

Shafir vertreibt vorrangig eigene Spiele, führt aber auch andere Autoren im Programm. Mit Wolfgang Kramers 6 Nimmt hat er inzwischen auch ein deutsches Spiel ins Hebräische übertragen.

In Europa hat Amigo grundsätzlich den ersten Zugriff auf die Ideen von Haim Shafir. Der Autor ist seinerseits überzeugt, dass er in der Kartenspielreihe des deutschen Verlags bestens aufgehoben ist. Keine Frage, Shafir konzentriert sich auf Karten, doch es gibt Ausnahmen. So ist seit dem vergangenen Jahr sein großes Kinder-Aktionsspiel Ring-O Flamingo beim US-Verlag Gamewright zu haben.

Vorschulkinder sind eine Zielgruppe der Shafir-Spiele, für die sich der Autor besonders engagiert. Mit Wo ist Pluto hat er liebevoll ein klassisches hebräisches Kinderbuch umgesetzt, bei der ein Hund anderen Tieren begegnet. Besonders glücklich ist Haim Shafir darüber, dass der Grafiker vieler seine Spiele, Ari Ron, bereits 1959 die Originalausgabe des Buchklassikers illustrierte. 1977 fertigte Ron eine zeitgemäßere Grafik für das Buch an. Allerdings übernahm der Buchverlag diese nur für das Cover, sodass diese Bilder nun erstmals in Shafirs Spiel veröffentlicht wurden.

Ein reiner Kinderspieleautor will Haim Shafir nicht sein. Zwar steht auf den ­Titeln seines Verlagsprogramms selten eine Mindest-Altersangabe oberhalb der Sechs. Doch will er mit seinen Ideen immer auch Erwachsene erreichen. Er ist der Meinung, dass sich die Menschen im doch recht spielfernen Israel eher mit niedrigschwelligen Konzepten zum Spielen bewegen lassen.

Ein erfolgreiches Spiel ist sein Cocotaki, das es 2002 auf die Auswahlliste Spiel des Jahres schaffte. Dahinter verbirgt sich eine Art Mau Mau mit Tiergeräuschen. Bei Amigo zielt dieser Titel mit einer kindgerechten Grafik auf sehr junge Mitspieler ab. In Israel fehlenden abgebildeten Tieren jedoch die Augen. Damit sollen die Tiere abstrakter aussehen und Erwachsene ansprechen, erklärt Haim Shafir.

Einen Unterschied zwischen der deutschen und der israelischen Ausgabe gibt es auch bei Halli Galli extreme. Während man im Amigo-Spiel beim Allesfresser „Schwein“ immer auf die Glocke hauen darf, hat Shafir auf dieses nicht-koschere Tier in der israelischen Ausgabe verzichtet. Dort ist stattdessen eine Kuh abgebildet.

Haim Shafir selbst ist kein Freund langwieriger Brettspiele. Obwohl Die Siedler von Catan mittlerweile auch auf Hebräisch erschienen ist, kann von einem Erfolg in Israel nicht die Rede sein; das Teuberspiel ist weitgehend unbekannt. Dies läge nicht nur an dem Begriff des Siedlers, der in Israel „nicht gerade positiv besetzt“ sei, meint Shafir. „Kurze, knackige Spiele, die meist deutlich unter 30 Minuten dauern, haben es hier einfach leichter“.

Zusammen mit Ora und Theo Costner, die den amerikanischen MB-Spiel-Klassiker Wer ist es entwickelt haben, gehört Haim Shafir zur älteren Generation israelischer Spieleautoren. Es gibt aber auch eine junge Generation.

Gut 50 Kilometer nördlich von Tel Aviv lebt der 35jährige Ariel Laden. Tema game development, so heißt seine Firma. Zu finden ist sie in einem kleinen Studio im Gewerbegebiet am Bahnhof der Kleinstadt Binjamina.

Neben der eigenen Autorentätigkeit erzielt Laden sein Einkommen mit der redaktionellen Bearbeitung und grafischen Umsetzung von Spieleprojekten anderer Verlage. Als er noch Grafik an der Jerusalemer Bezalel Akademie für Kunst und Design studierte, hatte Ariel Laden nicht das Geringste mit Brettspielen zu tun. Damals kam er ausschließlich mit Spielesoftware in Berührung.

Ariel Laden stammt von südafrikanischen Einwanderern ab. Sein Entschluss, sich mit Spielen zu beschäftigen, fiel während eines längeren Arbeitsaufenthaltes in Südafrika, bei dem er sich dem Biolandbau widmete. Das Wachsensehen beeindruckte ihn. „Es war ein Gefühl, dass ich das mögen könnte“, begründet Laden seine überraschende Hinwendung zu den Brettspielen.

Zurück in Israel schaffte er tatsächlich den Einstieg in die ihm bislang unbekannte Branche. Er entwickelte Prototypen und reiste damit zur Spielwarenmesse nach Nürnberg. Anders fing auch Haim Shafir nicht an, der vor 30 Jahren das erste Mal in der fränkischen Messestadt war. Shafir rät allen jüngeren Kollegen genau dies: Preist eure Spiele in Nürnberg und Essen an.

2004 traf Laden in Nürnberg Johann Rüttinger vom Drei-Magier-Verlag, der ihm ein Rüsselbande-Schwein und ein Buch über Alex Randolphs Arbeit schenkte. Obwohl er den deutschsprachigen Text nicht versteht, fasziniert Laden dieses Buch bis heute. Die Bilder dieses Buches zeigen ihm, wie man als Spieleerfinder arbeitet. „Das habe ich mir zum Vorbild genommen.“

Ladens größter Erfolg ist Didi Dotter, das 2008 für das Kinderspiel des Jahres nominiert wurde. Den Prototyp „Eggo“ hatte er auf der SPIEL in Essen dem Zoch-Verlag vorgestellt, wo es auf Anhieb Gefallen fand.

Neben Kinderspielen sind Ariel Ladens anderes Standbein abstrakte Denkspiele und puzzleartige Solitärspiele. Pixel erschien 2007 in den USA bei Educational Insights und gewann eine Mensa-Select-Auszeichnung als „besondere intellektuelle Herausforderung“. Flip it heißt eine Serie von Schiebepuzzles, die soeben bei Schmidt und dem US-Verlag Out of the Box erschienen sind. Für seine Cobra Cubes Puzzles, die bei dem neuen israelischen Verlag Smart Zones erschienen sind, hat sich mit Huch&friends ebenfalls ein deutscher Herausgeber gefunden. Für Ariel Laden sind diese Aktivitäten im Bereich Kinderspiel und Puzzle nur Zwischenstationen. Er möchte in Zukunft große Brettspiele „mit mehr Atmosphäre“ entwickeln. Bei dem finnischen Verlag Tactic hat er denn auch Hotel Checkout und Roll for Gold untergebracht, die einen ersten Schritt in diese Richtung gehen.

Das erstes wirklich große Laden-Spiel ist das bei FoxMind erschienene Kajunga! Adventure Island. Für den israelischen Ableger dieses Verlages erledigt Ariel Laden die Redaktionsarbeit und das Produktmanagement. Dazu gehört auch die Übertragung von ausländischen Titeln, insbesondere des französischen Verlags Gigamic ins Hebräische. Zuletzt landeten mit Heck Meck am Bratwurmeck und Zicke Zacke Hühnerkacke aber auch zwei deutsche Zoch-Renner auf seinem Schreibtisch.

Neben Israel ist FoxMind auch noch in Kanada und den Niederlanden direkt vertreten. Ein bei uns bekanntes FoxMind-Produkt findet sich hierzulande aber bei Huch & friends, das Lernspiel Zoologic. Mit dessen Autor, dem Israeli Inon Kohn, arbeitet Laden oft zusammen. So auch bei Black Sheep. Für den deutschen Markt wurde auf Ladens Schaf-Bilder verzichtet, denn Schmidt machte daraus das Drei-Magier-Spiel Schweine Bammel.

Eine lebendige Spielekultur mag Ariel Laden in seinem Land noch nicht erkennen. Ihm fehlen deshalb auch gewachsene Spielegruppen, die in ihrer Freizeit seine Spielentwicklungen testen könnten. Er selbst veranstaltet regelmäßig Spiele-Camps für Kinder, um so selbst für Spielenachwuchs zu sorgen.

Andererseits gibt es in Israel Indizien für eine langsam aufkommende Spieleszene. Nach dem Vorbild der SPIEL in Essen entstand die „Israel Game Fair: Name of the Game“ im nordisraelischen Afula, die im Herbst des letzten Jahres immerhin 1.000 Besucher anlocken konnte.

Und in der Nachbarstadt von Binjamina, dem schicken Weinbauort Zichron Ja’akow, findet sich in der Fußgängerzone überraschend ein Spielwarengeschäft mit einem auffälligen Ravensburger-Schild. Einschließlich Das verrückte Labyrinth und Lotti Karotti sind immerhin fünf hebräische Titel mit blauem Dreieck zu haben. In dem kleinen Laden findet sich darüber hinaus eine Riesenauswahl von deutschsprachigen Ravensburger- und alea-Spielen, alle mit fotokopierten hebräischen Aufklebern versehen, auf denen das Spiel vorgestellt wird. Eine Quelle für German-style board games gibt es also zumindest und eine, aus der dem Geschäftsführer zufolge die Fans israelweit schöpfen. Israel mag, was Gesellschaftsspiele angeht, nicht das gelobte Land sein, aber vielleicht ist der Zusatz „noch“ angebracht.

aus der spielbox 1/2010